Liebe & Anarchie
Jan Kosyk
deu eng

Das erste Regionalparlament in Deutschland

Mĕ se gróni Jan Kosyk, som 33 lět stary a bydlim w Drježdźanach. – Huch, was ist das denn? Polnisch? Tschechisch?

Nein, es ist die Sprache der Sorben/Wenden, einer Minderheit, die in der Lausitz im Osten Deutschlands wohnt und gerade dabei ist, das erste Regionalparlament Deutschlands – den Serbski Sejm –  zu wählen. Bis zum 27. Oktober können sich dafür alle, die sich zur sorbisch/wendischen Kultur bekennen, als Wählerin und Wähler registrieren und bis zum 3. November ihre Stimme per Briefwahl abgeben. Stimmberechtigt sind alle Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft, die zum Wahltag das 16. Lebensjahr vollendet haben – damit ist der Serbski Sejm nicht nur eine Regionalvertretung, sondern vertritt alle Sorben deutschlandweit.

Nur, wozu das alles?

Zur Zeit ist es so, dass das Land Brandenburg und das Land Sachsen bei ihren Haushaltsverhandlungen entscheiden, wieviel Geld sie für die Förderung der Sorben einstellen. Es gibt zwar parlamentarische Beiräte, die angehört werden – bindend ist deren Empfehlung allerdings nicht. Sollte sich zu den Landtagswahlen im Freistaat Sachsen nächstes Jahr die Mehrheitsverhältnisse (z.B. CDU/AfD) ungünstig ändern, könnte der Topf leer sein. Um das zu verhindern will der Sejm die Budgethoheit für die Mittel, die der Minderheit zustehen. Damit haben die Landesparlamente weniger Möglichkeiten finanziellen Druck auszuüben.

Der wichtigste Punkt zur Erhaltung einer Kultur ist deren Sprache. Und die Sprache und Kultur wird neben dem Elternhaus in der Schule vermittelt. Die Kürzungen im Bildungssystem hat vor den sorbischen Schulen nicht Halt gemacht. Allerdings macht es einen Unterschied, von zehn nicht-sorbischen Schulen eine zu schließen oder von drei sorbischen Schulen eine zu schließen. Damit die sorbischen Schulen nicht dem sowieso schon unverantwortlichen Sparzwang im Bildungssystem zum Opfer fallen, strebt der Sejm eine Bildungsautonomie an.

Das sorbische Siedlungsgebiet in Brandenburg liegt mitten im Braunkohlerevier. Die Entscheidung, welche Gebiete abgebaggert werden, fällt bisher Potsdam. Das ist unverantwortlich, da dort niemand die Tragweite gerade für die sorbische Bevölkerung sieht: Die Lausitz ist das einzige Gebiet aktiver sorbischer Kultur in Deutschland. Wenn dort die Landschaft aus wirtschaftlichen Gründen dem “Gemeinwohl” geopfert wird, klingt das wie eine Farce – da die Sorben keine zweite Lausitz haben. Die Entscheidung sollte hier nur bei den Abgeordneten liegen, die für die Region verantwortlich sind.

Die Vertretung der sorbischen Interessen besteht bisher aus einem Vereinsgeflecht für die Förderung und Wahrung der sorbischen Kultur, den Beiräten für die Landesparlamente mit Anhöhrungsrecht und einer Stiftung, die die bereitgestellten Mittel verwaltet. Ein direkt gewähltes Parlament, das die Selbstverwaltung der Minderheit anstrebt, bietet eine sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden Einflussmöglichkeiten.

Werden allein diese vier Punkte betrachtet, wird schnell klar, dass das Regionalparlament weit mehr Möglichkeiten bietet, als die Minderheit vor den Ländern und dem Bund zu vertreten. Durch die räumliche Nähe der Abgeordneten können weitreichende Strukturentscheidungen (z.B. Braunkohle, Wirtschaft, Tourismus) viel besser getroffen werden und sind somit ein Gewinn für die gesamte Region – und folgen damit dem EU-Konzept eines Europas der Regionen.

Und warum erst jetzt?

Nach 1990 wurde das Konzept einer Körperschaft öffentlichen Rechts der sorbischen Minderheit zugunsten einer hierarchischen Vereinsstruktur aufgegeben. Die juristische Vertretung hatte damit keine gesetzlich klar definierten und abgegrenzten Aufgaben und Mittel, sondern ging im Vereinsrecht auf ohne besondere politische Rechte für Sorben. Damit bleibt die Minderheit abhängig vom guten Willen der Landesparlamente.

Der Dachverband der sorbischen Vereine ist die Domowina, die bereits seit 1912 existiert und nach 1990 die Vertretung der Minderheit übernahm. Grundlegend ließe sich dem Gedanken folgen, dass es sich wie in einer Rätedemokratie verhält: Die kleinen Vereine entsenden Vertreterinnen und Vertreter in die größeren, die dann wieder entsenden bis an der Spitze der Vorsitzende der Domowina steht, ausgestattet mit den entsprechenden politischen Möglichkeiten. Davon abgesehen, dass die Einflussmöglichkeiten in so einer Hierarchie von oben nach unten verlaufen – intern also kaum Kontrollmöglichkeiten existieren – hat die Domowina keinen politischen Anspruch. Sie versteht ihre Hauptaufgabe in der Förderung und Wahrung der sorbischen Kultur.

Die Mittel, die von Bund und den beiden Ländern aus dem Haushalt zur Verfügung gestellt werden, verwaltet die Stiftung für das sorbische Volk. Wie bereits beschrieben, sind diese Mittel abhängig von der Haushaltslage und dem Willen der Parlamente. Zusätzlich hat die Stiftung kein Eigenkapital aufgebaut, kann also ihrer Aufgabe nicht aus entstehenden Zinsen nachkommen. Ob es diesen Umstand zu ändern gilt, oder die Stiftung weiterhin zur Umverteilung der Mittel da ist, sollte nicht in der Hand des Bundes oder der Länder liegen. Diese Entscheidung steht den Menschen zu, für die diese Mittel vorgesehen sind.

Es gibt noch einen Punkt, der vor allem in der brandenburgischen Niederlausitz immer wieder zu Unmut führt: Der Großteil der Stiftungsgelder fließt in die Oberlausitz nach Sachsen, dort ist der Sitz der Domowina und vieler großer sorbischer Kulturinstitutionen. Das führt dazu, dass Projekte und Stellen in der Niederlausitz durch oberlausitzer Institutionen und Vereine ausgeführt und besetzt werden – soll heißen, dass Gelder, die für die Förderung der Niederlausitz gedacht sind in die Oberlausitz fließen. Um diese Ungleichheit zu verhindern, ist der Serbski Sejm paritätisch besetzt: Zwölf Abgeordnete vertreten die Niederlausitz, zwölf Abgeordnete vertreten die Oberlausitz.

Seit einigen Jahren gibt es in den Länderparlamenten sorbische Beiräte (RASW und Rat für sorbische Angelegenheiten). Diese sind gewählt und werden in allen Belangen das sorbische Volk betreffend angehört. Ihre Beschlüsse haben jedoch nur empfehlenden Charakter und können von den Parlamenten ignoriert werden. Und am Ende ist die Frage: Ist Braunkohleverstromung ein Belang des sorbischen Volkes?

Um die genannten Schwierigkeiten anzugehen, wurden bereits einige Versuche unternommen. 2005 gründete sich die Serbska Ludowa Strona (erneut), die als Minderheitenpartei die Interessen der Sorben vertreten wollte. Da dies nicht gelang, formierte sich die Initiative zum Serbski Sejm. In den letzten Jahren erarbeitete diese das Konzept zur Aufstellung eines Regionalparlamentes, welches nun in der Wahl zum Serbski Sejm gipfelt.

Die Frage, die sich den meisten nun stellt, ist: Was macht der Serbski Sejm dann? Für diese Frage muss ich auf die Zeit nach der Wahl verweisen, da nur die demokratisch legitimierten Abgeordneten entscheiden können, wie sie vorgehen, was ihre Ziele sind und wie sie ihre politische Arbeit gestalten. Für mich ist es offensichtlich, dass eine Minderheit eine demokratisch legitimierte Vertretung braucht um ihre Interessen zu wahren. Dass dieser Schritt nun nach 28 Jahren durchgeführt wird, freut mich. Ob der Versuch gelingt, welche Erfahrungen damit gesammelt werden und was in den nächsten Jahren passiert – das bleibt spannend.

Ich lege jedem ans Herz, dem die Region wichtig ist und der am Erhalt einer lebendigen Kultur in der Lausitz interessiert ist, die Wahl zum Serbski Sejm wahrzunehmen und die Geschichte weiterzutragen: online, offline, an Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen. Wer den Unmut hat, dass Wählen nichts mehr bringt, weil das alles zu weit weg ist – hier gibt es die Möglichkeit zu zeigen, dass regionale Parlamente eine schöne Alternative sind.

Hinweis: Es gibt im deutschen die Begriffe “sorbisch” und “wendisch”. Auf sorbisch heißen beide “serbski”. Wenn in diesem Text von “sorbisch” die Rede ist, ist auch immer “wendisch” gemeint.

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